Ein Genuss, der den Leuten über alles geht

Was für ein Neuling ist doch der, welcher wähnt, Geist und Verstand zu zeigen wäre ein Mittel, sich in Gesellschaft beliebt zu machen! Vielmehr erregen sie, bei der unberechenbar überwiegenden Mehrzahl, einen Hass und Groll, der um so bitterer ist, als der ihn Fühlende die Ursache desselben anzuklagen nicht berechtigt ist, ja sie vor sich selbst verhehlt. Der nähere Hergang ist dieser: merkt und empfindet einer große geistige Überlegenheit an dem, mit welchem er redet, so macht er, im Stillen und ohne deutliches Bewusstsein, den Schluss, dass in gleichem Maße der andere seine Inferiorität und Beschränktheit merkt und empfindet. Dieses Enthymem erregt seinen bittersten Hass, Groll und Ingrimm. Mit Recht sagt daher Gracian: ‘Das einzige Mittel beliebt zu sein, ist, dass man sich mit der Haut des einfältigsten der Tiere bekleide.’ Ist doch Geist und Verstand an den Tag legen nur eine indirekte Art, allen anderen ihre Unfähigkeit und Stumpfsinn vorzuwerfen. Zudem gerät die gemeine Natur in Aufruhr, wenn sie ihr Gegenteil ansichtig wird, und der geheime Anstifter des Aufruhrs ist der Neid. Denn die Befriedigung ihrer Eitelkeit ist, wie man täglich sehen kann, ein Genuss, der den Leuten über alles geht, der jedoch allein mittelst der Vergleichung ihrer selbst mit anderen möglich ist.

—Arthur Schopenhauer

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